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Vor uns die Sintflut

SZ Meinungsseite

KLIMAWANDEL
Vor uns die Sintflut

Zahlreiche Naturkatastrophen hat der Mensch zu verantworten

Von Arne Perras

Stürme lehrten die Menschen schon das Fürchten, als sie noch Jäger und Sammler waren. Stürme haben nie aufgehört zu wüten. Sie kommen und zerstören. Man kann sie nicht besiegen wie feindliche Truppen - oder Bakterien, die man mit Antibiotika beschießt. Stürme sind größer als wir.

Was also ist zu tun, nachdem der Taifun Haiyan die Philippinen verwüstet und alle daran erinnert hat, wie verletzlich unsere Zivilisation ist? Man sollte meinen, dass der Sturm den Gesprächen über einen globalen Klima-Pakt Schub verleihen konnte. Doch das Gegenteil ist zu beobachten. Stillstand in Warschau. Das wirkt paradox angesichts extremer Naturgewalten im Pazifik. Wenn der Klimawandel solche Extreme begünstigt, was kaum noch angezweifelt wird, dann haben die Staaten die Zeichen nicht verstanden. Mit ihrem nationalen Egoismus setzen sie die Bürger erheblichen Risiken aus.

Während in Europa die Umweltverbände die Bühne verlassen, begraben die Philippiner ihre Toten. Sie trauern in den Trümmern, aber sie versuchen auch, erneut auf die Beine zu kommen. Wer verschont geblieben ist, fühlt Erleichterung und Mitleid. Viele spenden, weil die apokalyptischen Bilder niemanden ungerührt lassen.

War der Taifun ein Vorbote noch größeren Unglücks? Ist Tacloban ein Menetekel und kündet von weiteren Verheerungen, welche die Menschen durch ihr rücksichtsloses Streben nach Wachstum selbst mitverschulden? Und wenn es so ist - ließe sich der Lauf der Dinge ändern?

Zunächst das Offenkundige: Niemand kann sich je an einen Sturm von dieser Wucht erinnern. Ein Sturmmonster war das, fast alle haben es unterschätzt. Die Menschen auf den Philippinen haben nicht mit dieser Gewalt gerechnet. Gewiss, der Staat hat gewarnt und evakuiert, aber bei Weitem nicht so, wie es nötig gewesen wäre. Nun sind Tausende tot.

Wer trägt Schuld? In voraufklärerischen Zeiten gab es zwei mögliche Antworten: Der Mensch hat gesündigt, deshalb trifft ihn die Strafe Gottes, durch Blitz, Erdbeben, Flut oder Sturm. Und wenn es keine Strafe war, dann Ausdruck eines unergründlichen göttlichen Willens. In den Gedichten des deutschen Barock-Dichters Andreas Gryphius ist der Mensch ein kleiner Kahn, hin- und hergeworfen auf den Wogen des Meeres. Das Schicksalhafte kommt zum Ausdruck. Gegen Katastrophen kann er nichts tun, nur weiter rudern durch Wind und Sturm.

Heute ist alles komplizierter. Erstens wissen wir um zahlreiche Katastrophen, für die der Mensch Verantwortung trägt, man denke an die Abholzung der Berge, die zu tödlichen Erdrutschen führt. Zweitens haben sich Weltbilder verändert. Der Glaube an göttliche Fügung ist zwar noch lebendig, gerade auf den Philippinen, wo der Katholizismus fest verwurzelt ist. Aber dieser Glaube konkurriert doch mit anderen, säkular geprägten Sichtweisen auf das Leben und seine Gefahren.

Dazu gehörte bislang die Zuversicht des Menschen, dass er seine Zukunft aus eigener Kraft sichern kann und die Klimaprobleme irgendwie meistert. Ansonsten würden sich die Staaten kaum zu so vielen Klimakonferenzen versammeln. Doch der Stillstand in Warschau ist kein gutes Zeichen, er untergräbt den Glauben an die eigene Kraft. Offenbar gelingt es nicht, so viele nationale Interessen einer langfristigen globalen Strategie unterzuordnen. Warschau sendet ein Signal politischer Ohnmacht aus.

Letztlich ist es wohl der Kampf um Ressourcen, der viele taktieren lässt. Niemand ist bereit, größere Opfer zu bringen oder zurückzustecken, die meisten wollen weitermachen wie bisher. Die Europäer haben ihren Wohlstand einst schneller erkämpft als andere, sie haben geklotzt, aber auch verschwendet. Nun wollen es ihnen andere gleichtun. Der Konflikt ist kaum lösbar. Es sei denn, menschliches Verhalten würde sich künftig nicht dem Ruf nach mehr, sondern nach weniger Konsum unterordnen. Das hören viele Unternehmen nicht gern, und deren Arbeitnehmer, die dort ihr Geld verdienen, auch nicht. In den aufsteigenden Staaten ist der Kaufrausch der neuen Mittelklassen ungebremst und der Götze Konsum von so immenser Strahlkraft, dass niemand es wagen würde, ihn in Frage zu stellen.

Womöglich liegt in der Bescheidenheit des Einzelnen eine größere Chance, den Klimawandel zu bremsen, als durch die verfahrenen Verhandlungen der Staatengemeinschaft. Ein Wirtschaftssystem durch Obergrenzen für Treibhausgase zu knebeln, ohne es gleichzeitig schlüssig umzubauen, kann kaum gelingen. Alle müssten umsteuern, und der Staat die Weichen stellen. Das ist die Utopie. Wer seine eigenen Gewohnheiten kennt und weiß, dass Politiker alle vier Jahre neu gewählt werden, kann abschätzen, wie groß die Aussichten sind, das zu erreichen.

Viele werden sich also in Zynismus flüchten. Nach mir die Sintflut. Nur ein Argument könnte vielleicht der Vernunft zu ihrem Recht verhelfen: Das ist die Sorge um die Kinder und Enkelkinder. Auch sie verdienen eine menschenwürdige Umwelt, und was heute versäumt wird, bekommen sie morgen und übermorgen zu spüren. Offenbar aber ist der Leidensdruck noch nicht groß genug, diesem Gedanken genügend Gewicht zu verleihen.

Sofern die Menschenkinder der Zukunft in stürmischen Gegenden wie den Philippinen aufwachsen, müssen sie auf der Hut sein. Ihre Welt wird nicht ruhiger. Wenn es stimmt, dass höhere Temperaturen zwar nicht die Zahl, aber die Kraft von Stürmen erhöhen, dann ist die Wucht des Taifuns Haiyan ein warnendes Zeichen. Die wirbelnden Kraftprotze auf dem Pazifik werden demnach zwar nicht vom Menschen geschaffen, aber durch menschliche Einflüsse verstärkt. Es ist kaum möglich, zwischen menschlicher Zivilisation und der sie umgebenden Natur scharf zu trennen. Vieles vermischt sich. Der französische Soziologe Bruno Latour spricht von Hybriden. So ist es auch mit Haiyan.

Daraus folgt, dass sich die reichen Staaten kaum aus der Verantwortung stehlen können. Wenn Wetterextreme wie dieser Sturm arme Staaten verwüsten, haben Industrienationen eine besondere Verantwortung zu helfen. Denn sie haben mehr als alle anderen Länder den Klimawandel befördert, der höhere Risiken bringt.

Das entlässt die betroffenen Länder nicht aus ihrer Pflicht. Man muss den Sturm und die Welle genau studieren und einen Katastrophenschutz aufbauen, der diesen Namen verdient. Das erfordert Willen und Geld. Wer jetzt investiert, wird den nächsten Taifun nicht aufhalten. Aber durch Vorsorge lassen sich Leben retten. Die Welt wird sich besser wappnen müssen gegen Stürme und Fluten. Das zumindest sollte möglich sein, selbst wenn die Staaten beim Klimapakt scheitern.


last updated november 2013